Explosivkörper inmitten von Trümmern

Deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien vor dem Hintergrund der Kriegsverbrechen im Jemenkrieg.

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Die erst vier Jahre alte Hala spielte nichtsahnend vor dem Haus der Familie. Aufeinmal flogen Kampfjets über sie hinweg und warfen Bomben ab. Die Explosion riss Hala ein Bein ab. Seitdem wird sie im HI Rehazentrum in Sana'a versorgt und hat unter anderem eine Prothese erhalten.  © ISNA Agency / HI

Im Jemen spielt sich eine der dramatischsten Humanitären Krisen weltweit ab. 24 Millionen der 30 Millionen Einwohner/-innen des Jemens sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen leiden unter Nahrungsmittelunsicherheit. Knapp 4 Millionen Menschen sind auf der Flucht (i).

Seit 2015 herrscht im Jemen ein Bürgerkrieg, in dem Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate militärisch involviert sind. Saudi-Arabien erhält seine Rüstungsgüter unter anderem auch von deutschen Firmen. Die Bundesregierung beteuert immer wieder die Einhaltung einer restriktiven und verantwortungsvollen, sowie menschenrechtskonformen Rüstungsexportpolitik. Die tägliche Praxis sieht allerdings anders aus.

Verfahren der Bundesregierung zur Bewilligung von Rüstungsexporten

Die Bundesregierung entscheidet über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte an Empfängerländer auf Einzelfallbasis und unter umfassender Prüfung der jeweiligen Situation und Einbeziehung von außen- und sicherheitspolitischen Erwägungen. Nur bei hinreichender Sicherstellung über den Endverbleib im Empfängerland werden Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern erteilt.

Hierbei ist der Endverbleib allerdings nicht ausschließlich gebietsbezogen, sondern meint auch die fortbestehende Verfügungsgewalt des Empfängerlandes. Nach eigenen Angaben führt die Bundesregierung diesbezüglich genaueste Prüfung durch. Liegen Zweifel am gesicherten Endverbleib der Rüstungsexporte vor, werden Ausfuhranträge abgelehnt. Die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland spielt – laut der Bundesregierung – bei der Entscheidungsfindung eine hervorgehobene Rolle.

Rüstungsexporte trotz Exportstopp

Gemäß diesen Anforderungen hätten jegliche Rüstungsexporte der Bundesregierung nach Saudi-Arabien nicht genehmigt werden dürfen. Trotz dieser Kriterien, sowie der Zusicherung der Bundesregierung im Koalitionsvertrag keine Rüstungsexporte an Staaten zu genehmigen, die am Konflikt im Jemen beteiligt sind (ii), hat sich die deutsche Rüstungsexportpolitik nach Saudi-Arabien nicht weitreichend genug geändert. Vor allem durch sog. Gemeinschaftsprojekte mit europäischen Staaten, wie Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien, können Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien weiterhin genehmigt werden.

Einsatz von Explosivwaffen im Jemen

Alle am Konflikt im Jemen beteiligten Parteien setzen Explosivwaffen ein, unter denen besonders Zivilist/-innen leiden. Dazu zählen Mörsergranaten, Raketen, Artilleriegranaten, Fliegerbomben, improvisierte Sprengsätze sowie Streumunition (iii). Der Explosions- und Splittereffekt kann Schaden im Umkreis von mehreren hundert Metern anrichten – unpräzise und flächendeckend.

Laut dem Armed Violence Monitor sind 2019 mehr als 1.300 Zivilist/-innen im Jemen von Explosivwaffeneinsätzen getötet oder verletzt worden und die Zahl ist in den letzten Jahren erschreckend angestiegen (iv). Zudem können nicht explodierte Blindgänger auch nach dem eigentlichen Angriff noch großen Schaden anrichten – ganz zu schweigen von den verheerenden Auswirkungen der zerstörten Infrastruktur auf das Leben der Menschen in den betroffenen Gebieten.

Deutsche Waffen im Jemen-Konflikt

Das internationale Rechercheprojekt #GermanArms (v), ein investigatives gemeinsames Projekt von 15 Vertreter/-innen aus dem niederländischen Recherchebüro Lighthouse Reports, dem ARD-Politikmagazin report München, dem Magazin Stern, dem internationalen Investigativnetzwerk Bellingcat und der Deutschen Welle, deckte auf, dass die Komponenten wesentlicher Teile der Waffen, die im Konflikt von Saudi-Arabien sowie den VAE verwendet werden, von deutschen Unternehmen stammen (vi). Hierzu zählen:

  • Artilleriegeschütze vom Typ Ceasar mit deutschen Unimog-Fahrgestellen an der Grenze zum Jemen, die eine ballistische Reichweite von mehr als 40 Kilometer besitzen,
  • „Oshkoshs“ mit Waffenstationen des Modells „Fewas“ der deutschen Rüstungsfirma Dynamit Nobel Defence,
  • Panzer mit deutschen MTU-Motoren,
  • deutsche Schutzpanzerungen des Systems „Clara“ vom Hersteller Dynamit Nobel Defence,
  • Korvetten Typ „Muray Jib“ der deutschen Firma Lürssen sowie
  • saudische Luftwaffen mit deutscher Technologie, wie die Kampfflugzeuge Eurofighter, Tornado und das Tankflugzeug Airbus A330 MRTT.

Anzeige vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Im Dezember 2019 haben Menschenrechtsorganisationen aus mehreren europäischen Ländern und dem Jemen eine Strafanzeige gegen europäische Unternehmen eingereicht. Für Luftangriffe im Jemen setzt die saudische Luftwaffe u.a. Tornados und Eurofighter aus europäischer Produktion ein und zu deren Betankung Airbus. Auch Bomben aus europäischer Produktion wurden im Jemen verwendet. Unter anderem wurden diese über italienische Tochterfirmen des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall ausgeliefert. Da alle Firmen sich auf erteilte Genehmigungen durch die Bundesregierung berufen, wird versucht nachzuweisen, ob sich Entscheidungsträger der Rüstungsfirmen nach internationalem Völkerstrafrecht mitschuldig gemacht haben, da sie auch nach Kriegsbeginn 2015 noch weiter an Saudi-Arabien exportiert haben. Der Prozess wird wahrscheinlich mehrere Jahre dauern (vii).

Forderung an die Bundesregierung

Die Rüstungsexporte der Bundesregierung nach Saudi-Arabien tragen zum Leiden der Menschen im Jemen bei und befördern die Aufhebung zentraler Prinzipien sowie den Bruch des humanitären Völkerrechts durch alle am Jemen-Konflikt beteiligten Staaten (viii). Vertragliche und politische Verpflichtungen Deutschlands wie beispielsweise der Gemeinsame Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten (EUGS) oder das UN-Waffenhandelsabkommens (Arms Trade Treaties, ATT) erfordern eine wesentlich restriktivere Genehmigungs- und Exportpraxis der Bundesregierung (ix).

Aufgrund dieser Verpflichtungen fordern wir die Bundesregierung auf

  • aktuelle Ausfuhrgenehmigungen nach Saudi-Arabien zu widerrufen,
  • die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Rüstungsexportpolitik gegenüber allen am Jemen-Konflikt beteiligten Staaten konsequent umzusetzen,
  • die Forderung des Europäischen Parlaments nach einem Ende von Rüstungsexporten an alle am Jemen-Konflikt beteiligten Staaten anzunehmen und zu befolgen,
  • sich für ein EU-weites Waffenembargo für alle am Jemen-Konflikt beteiligten Staaten einzusetzen,
  • ein umfassendes und zeitlich nicht befristetes nationales Rüstungsexportverbot für alle am Jemen-Konflikt beteiligten Staaten zu beschließen.

 

(i) Auswärtiges Amt: Humanitäre Hilfe im Jemen, 11. Nov. 2019, buff.ly/2qJ1o0U
(ii) Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Zif.7034f.: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt.“; Zif.7040f.: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“; Zif.7043f.: „Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden.“ bit.ly/2HCOTw0.
(iii) Handicap International: 1 Jahr Konflikt im Jemen: Immer noch Einsatz von Streumunition, März 2016, buff.ly/37zCqB7.
(iv) Action on Armed Violence: Explosive Violence Monitor 2018, May 2019, buff.ly/2OGwij4
(v) Das Team konnte durch die Analyse von Video- und Satellitenbildern verschiedene aus Deutschland exportierte Waffen sowie Rüstungstechnologie im Jemen lokalisieren. bit.ly/2ZFGR9G, bit.ly/2Ne4aGx.
(vi) Grüll, Phillip u.a., BR.de (Hrsg.): #GermanArms - Rechercheprojekt deckt Verwendung deutscher Waffen im Jemen-Krieg auf, Februar 2019, bit.ly/2N8AISi.
(vii) Kabisch, Volkmar/Kaul, Martin: Anzeige gegen deutsche Waffenfirmen, Dezember 2020, buff.ly/39Jju49.
(viii) Unmittelbare militärische Beteiligung von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten, Bahrain, Kuwait, Jordanien, dem Sudan und Senegal durch Luftangriffe, Seeblockade oder Einsätzen von Bodentruppen.
(ix) „Die Mitgliedstaaten … verweigern eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind verwendet werden, um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu begehen.“ vgl. Kriterium 7 c EUGS; Vertragsstaaten dürfen eine Ausfuhr nicht genehmigen, wenn „ein überwiegendes Risiko besteht“, dass die betreffenden Waffen oder Güter „dazu verwendet werden könnten, eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts“ oder „eine schwere Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen zu begehen oder zu erleichtern.“ vgl. Art. 3 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 litt. b) i), ii) ATT.

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